Mit freundlicher Genehmigung Auszug aus dem kostenlosen Wassersportmagazin

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Wenn einer eine Reise tut…

 

Nicht nur bei Starkwind, sondern auch unter normalen Bedingungen kann es vorkommen, dass einen die Seekrankheit erwischt.

Hier eine ausführliche Behandlung des Themas „Seekrankheit“ von Lothar Wolter.

Seekrankheit einmal anders betrachtet

Viele Leute werden schon beim Anblick eines Schiffes seekrank oder auch dann, wenn sie nur an ein Schiff denken. Hierin liegt schon das Hauptproblem: Seekrankheit ist nur bedingt ein medizinisches Problem.

In der Regel spielt die Psyche eine extrem starke Rolle. Allein das Wissen um die Seekrankheit verfärbt vielen Leuten schon beim Betreten eines Schiffes das Gesicht. Spätestens in diesem Augenblick ist ein Skipper mit Verantwortungsbewusstsein gefragt, denn schon bei Törnbeginn kann man dem Fluch der Seefahrt massiv entgegenwirken.

 

Bevor es ins Detail geht, ist wie so oft, etwas Basiswissen von Nöten: Neben vielen anderen Dingen muss unser großer „Computer“ u.a. auch Bewegungsabläufe lernen und trainieren. Als Kind oder als Heranwachsen-der merkt man in der Regel davon überhaupt nichts. Ist die „Lernphase“ jedoch im Großen und Ganzen ab-geschlossen, wird es hie und da problematisch.

Der Grund: Kommt eine neue, bisher nicht bekannte Bewegungsform hinzu (wie beim Segeln üblich), kann es vorkommen das unser Gehirn „allergisch“ reagiert. Die Reaktion wird sehr oft durch Übelkeit in Verbindung mit teilweise heftigem Erbrechen deutlich gemacht. Diese Lernphase dauert so lange, bis die neue Form der Bewegung „abgespeichert“ und vor allen Dingen vom Gehirn akzeptiert ist. Man bekommt „Seebeine“.

 

Bewegungsabläufe auf einem Schiff

Die Bewegungen auf einem Schiff sind vor allen Dingen Kombinationen aus verschiedenen Bewegungsrichtungen. Diese Kombination besteht zum einen aus den normalen Bewegungsabläufen (Kopf nach vorne oder nach hinten mit gelegentlichen Drehungen) sowie starken, schlingernden Seitwärtsbewegungen. Hinzu kommt noch das Auf und Ab in den Wellen. Bewegungen eben, wie man sie auf einem Schiff antrifft. Wenn nun das Gehirn für sich entscheidet „diese neue Form der Bewegung kenne ich nicht“, kann es zu den bereits genannten Reaktionen kommen. Wohlgemerkt: Kann! Muss aber nicht. Insbesondere dann nicht, wenn Personen ständig in irgendeiner Form aktiv waren. Sprich: Sport getrieben haben oder sich durch ihren Beruf viel bewegen mussten. Personen, die sich in ihrem Leben eher statisch verhalten haben, sind viel gefährdeter als Personen, die sich immer (heftig) bewegt haben.

Wie lange nun diese „Trainingsphase“ dauert, kann nicht gesagt werden. Sie ist ohne Wenn und Aber von den individuellen Gegebenheiten einer Person abhängig. Aus diesem Grund möchte ich auch nicht sagen, wie viele Meilen man fahren muss, um Ruhe zu haben. Wie bereits erwähnt: Jede Person reagiert hier voll-kommen anders.

 

Das medizinische Problem

Die Seekrankheit fällt in der Medizin unter den Begriff Kinetosen. Kinetosen sind wiederholte Reizungen des Gleichgewichtsorgans. Die Symptome: Übelkeit, Erbrechen, Schweißausbrüche, Schwindel, Kopfschmerzen, niedriger Blutdruck. Hervorgerufen werden die Kinetosen durch Flüge, Schiffsreisen, Auto- oder Zugfahrten. Normal ist, dass nicht alle Menschen gleich auf diese Reizungen reagieren. Jedoch kann man sagen, dass es ab einer gewissen Reizintensität jeden treffen kann.

Der Schlüssel hierzu liegt im Gleichgewichtssinn. Dieser besteht aus dem Gleichgewichtsorgan (den Bogengängen des Innenohres), aus Messfühlern in der Haut, der Muskulatur und den Gelenken sowie der Fähigkeit zu sehen. Alle hierüber gesammelten Informationen wer-den an das Gehirn weitergeleitet. Doch all diese Informationen reichen immer noch nicht aus um festzustellen, wie der Körper im Raum steht. Das Gehirn beschafft sich daher weitere Informationen von anderen "Messfühlern". Dazu gehören zum Beispiel die Muskeln und Gelenke. Die geben Auskunft über die Stellung des Körpers. Zusätzliche Informationen werden durch den Tastsinn eingeholt. Der gibt darüber Auskunft, welche Körperstellen beispielsweise mit dem Boden Kontakt haben. Des Weiteren spielen die Augen eine wichtige Rolle. Die runden das „Gesamtbild“ an Informationen ab. Alles zusammen bildet das, was wir unter Gleichgewichtssinn verstehen. Kommt es zu Störungen oder zu Fehlinformationen einer oder mehrerer dieser Faktoren, hat sehr oft eine Fehlverarbeitung der Informationen zur Folge. Dies führt zur besagten Kinetose.

 

Es geht rund im Kopf

Solch ein Durcheinander von Informationen ist gegeben, wenn man sich an Bord eines Schiffes befindet. Der Tastsinn meldet festen Boden unter den Füßen. Die Muskeln und Gelenke vermitteln jedoch eine beständige Bewegung, die von ihnen ausgeglichen wer-den muss. Die Augen wiederum vermelden bei einem Aufenthalt unter Deck: „Ich befinde mich in einem Raum“. Das Gehirn weiß aber aus Erfahrung: Räume bewegen sich nicht. Die Bogengänge werden jedoch durch das permanente Schlingern und durch das Auf und Ab gereizt. Alles zusammen führt letztendlich zur Überforderung des ganzen Systems. Die Seekrankheit ist vorprogrammiert.

 

Meistens (nicht immer und nicht bei jedem) kommt es durch längeres Andauern dieser Reize zu einem Gewöhnungseffekt. Man bekommt „Seebeine". Die ersten Tage jedoch können zur Qual werden. Ist die See-krankheit mit Übelkeit und Erbrechen einmal da, hilft nichts mehr. Nur warten, bis sich das „System“ an die neuen Reize gewöhnt hat.

 

Das psychologische Problem.

Es gibt sie wirklich: Leute, denen schon schlecht wird, wenn sie ein Schiff nur sehen. Und was passiert, wenn sich diese Leute auf einem Schiff wieder finden, kann sich wohl jeder selbst ausmalen. Auf meinen zahllosen Törns konnte ich feststellen, dass die Psyche in Sachen Seekrankheit einen viel höheren Stellenwert hatte als das medizinische Moment. Immer wieder wurden die gleichen Fragen zur Seekrankheit gestellt.

Immer wieder war zu beobachten, dass man förmlich darauf wartete, seekrank zu werden. Bis es dann letzt-endlich soweit war.

 

Wurden von den Mitfahrern auch noch die endlosen Geschichten erzählt, die sich um die Seekrankheit ranken, ging fast gar nichts mehr. Der Gang an die Reling war vorprogrammiert. Gepaart mit dem Gefühl, sich vor den anderen Mitfahrern als „Schwächling“ geoutet zu haben.

Leider genau so vorprogrammiert ist dann auch die Angst vor dem nächsten Tag, dem nächsten Tag, dem nächsten Tag! Eine Schraube ohne Ende! Angst ist einer der häufigsten Auslöser für Seekrankheit.

 

 Angst, erzeugt durch Unsicherheit.

 Angst, sich vor den anderen zu blamieren.

 

 Angst, den gestellten Aufgaben nicht gerecht werden zu können.

 

 Angst in der Dunkelheit zu fahren.

 Angst vor dem Unbekannten.

 

Kommt zu dieser Angst auch noch Kälte und Nässe hin-zu, kann man sagen: Das war es dann...!

Machen Sie sich niemals über seekranke Mitfahrer lustig. Führen Sie seekranke Mitfahrer niemals vor. Denken Sie daran, dass es „jeden“ treffen kann. Auch Sie kann es einmal erwischen. Sollten Sie in diesem Fall zuvor über andere „hergefallen“ sein, dürfte Ihr Ruf als guter Skipper dahin sein. Für sehr, sehr lange Zeit!

 

 

Die Bordapotheke

Mittlerweile gibt es eine ganze Reihe von Mitteln gegen Seekrankheit. Doch an dieser Stelle muss gewarnt werden. Manche Mittel sind nur Placebos, manche sind so stark, dass sie erhebliche Nebenwirkungen mit sich bringen:

 

 Starke Müdigkeit.

 Kopfschmerz.

 

 Schwindel. Angst und Unruhe.

 Hitzestau durch verminderte Schweißproduktion.

 

 Lichtempfindlichkeit.

 Desorientiertheit.

 

Hervorgerufen werden diese Nebenwirkungen durch den Umstand, dass die Medikamente auf das zentrale Nervensystem einwirken. Hier soll besonders das Scopoderm-TTS-Pflaster erwähnt werden. Personen die solche Mittel verwenden sollten unter besonderer Beobachtung stehen, da das Reaktionsvermögen stark eingeschränkt sein kann. Absolut wichtig bei Medikamenten: Finger weg vom Alkohol. Hie und da sollte man sich selbst die Frage stellen, ob man nicht besser gleich die Finger von solchen harten Medikamenten lässt. Die möglichen Mittel:

 

 Scopoderm-TTS-Pflaster (Medikamentöser Hammer)

 Super-Pep forte (Begrenzte Wirkung)

 

 Ingwer (ca. 500 mg) (Bei leichter Seekrankheit)

 Akkupressurbänder (Man muss daran glauben)

 

 Magnetresonanzbänder (Machen nur den Verkäu-fer reich)

Zu beachten ist immer, dass ein (wirksames) Medika-ment ca. 12-24h vor Antritt der Fahrt eingenommen werden soll. Ist die Seekrankheit einmal da, hilft meistens gar nichts mehr.

 

 

Ganz ohne Seekrankheit

Diese Tipps und Ratschläge sind dann besonders wichtig, wenn Leute mitfahren, die ihre erste Reise vor sich haben oder grundsätzlich etwas empfindlich reagieren. Angesprochen wird hier das psychologische Moment dieses Problems:

 

1. Verzichten Sie (auch schon vor dem Törn) auf blumige Erzählungen über Leute, die tagelang an der Reling gehangen haben.

2. Verzichten Sie auf Erzählungen, die den „optischen“ Zustand dieser Leute beschreiben.

 

3. Versuchen Sie, dieses Thema gänzlich unter den Tisch fallen zu lassen. (Je mehr man drüber spricht…).

4. Stellen Sie Neulinge richtig ein. Ist das Thema See-krankheit durch Fragen nicht zu vermeiden, erzählen Sie lieber, dass nur „ganz wenige“ Personen damit Probleme haben.

 

5. Führen Sie bei der Schiffsübernahme eine umfang-reiche Einweisung durch. Erklären Sie auch den Anfängern, wie alles an Bord funktioniert. Dieses Wissen führt dazu, dass sich der Neuling nicht hilflos allen Gegebenheiten ausgeliefert sieht, ohne darauf einwirken zu können. Dieses Wissen gibt dem Neuling Sicherheit. Dieses Gefühl der Sicherheit wirkt massiv der See-krankheit entgegen.

6. Schon bei der Einweisung können Sie als Skipper Ihr Wissen, Ihr Können und Ihr Verantwortungsbewusst-sein reflektieren. Allein das Vertrauen, das Sie durch diese Aktion aufbauen, führt zum Wohlbefinden eines Neulings.

 

Ankommen – Seesack aufs Schiff – Leinen los! Die ideale Voraussetzung für Neulinge den Schritt an die Reling antreten zu müssen. Sorgen Sie für einen ruhigen Start des Törns.

1. Planen Sie für die ersten Tage kurze Etappen ein. Zwei bis vier Stunden sind für einen Neuling voll kommen ausreichend. Vermeiden Sie in den ersten Tagen Kurse hoch am Wind mit heftiger Krängung. Andern-falls hat ein Neuling nur noch einen Wunsch: runter vom Schiff. So schnell, wie es geht.

 

2. Verzichten Sie tagsüber auf Alkohol und stark säure-haltige Getränke. Gleichfalls sollte übermäßiges Essen und Trinken am Vorabend des ersten und des zweiten Tages unterbleiben.

3. Erklären Sie einem Neuling, warum sich ein Schiff auf die Seite legt. Erklären Sie, warum das absolut nor-mal und ungefährlich ist. Sprechen Sie auch die „völlig normale Geräuschkulisse“ bei Manövern an. Z.B. Segel setzen. (Ein Neuling hat dabei immer das Gefühl, dass das Schiff auseinanderbricht).

 

4. Lassen Sie einen Neuling so früh wie möglich ans Ruder. Nur so bekommt er die nötige Sicherheit dafür, dass das ja alles ja gar nicht so schlimm ist.

5. Sorgen Sie für Wohlbefinden. Achten Sie darauf, dass niemand auskühlt oder überhitzt. Achten Sie da-rauf, dass ausreichend getrunken wird.

 

6. Hie und da wirkt ein Lob wahre Wunder…!

 

Stellen Sie bei einem Mitfahrer die ersten Anzeichen von Seekrankheit fest, gibt es verschiedene Möglichkeiten ihr entgegen zu wirken:

 

1. Sorgen Sie für Ablenkung. (Ruder gehen. Angeregte Gespräche. Usw.).

2. Wenn machbar, dicht unter Land fahren. (Die Land-nähe bedeutet für einen Neuling immer Sicherheit).

 

3. Wenn machbar, Fahrt verkürzen und einen Hafen oder eine Bucht anlaufen.

4. Nach Möglichkeit in Lee von Inseln fahren. (Geringer Seegang).

 

5. Viel trinken. (Kein Alkohol. Keine säurehaltigen Getränke).

6. Hie und da etwas essen. (Trockenes Weißbrot. Keine schwere Kost).

 

7. Öfters auf die noch zu verbleibende (hoffentlich kurze) Zeit bis zum Erreichen des Zieles hinweisen.

 

Sehr oft verheimlichen die Betroffenen aus Scham das ihnen unwohl ist. Aus diesem Grund ist es wichtig für Sie, die ersten Anzeichen der Seekrankheit zu erkennen, um entsprechend darauf reagieren zu können. (Siehe Punkte oben).

 

Die ersten „Signale“ der betroffenen Personen:

1. Die Betroffenen werden immer ruhiger.

 

2. Häufiges Öffnen und Schließen der Bekleidung. (Hitze- und Kältewellen)

3. Starrer Blick zum Horizont.

 

4. Vermeidung von eigenen Bewegungen. (Statisches Verhalten)

5. Häufiges Schlucken.

 

6. Krampfhaftes „sich irgendwo“ festhalten.

7. Veränderungen der Hautfarbe

 

8. Körperzittern

9. Erhöhte Schreckhaftigkeit (Angstzustände)

 

 

Seekrankheit. Es ist doch soweit gekommen.

Hilft alles nichts mehr, sollten Sie die betroffene Person auffordern, so früh wie möglich den unausweichlichen Gang an die Reling anzutreten. Je früher, je besser. Stundenlanges Hinauszögern führt nur dazu, dass die Symptome der Seekrankheit immer heftiger ausfallen. Sehr oft reicht ein einmaliges „sich Übergeben“ aus, um Linderung zu finden.

 

Auch wenn sich die Betroffenen noch so wehren und angeekelt alles verweigern: Sorgen Sie dafür, dass die betroffene Person nach dem Erbrechen etwas trinkt und etwas zu essen bekommt. (Klares Wasser ohne Kohlensäure. Leichtes, weiches Brot). Hintergrund: Nach dem Erbrechen ist der Magen meistens vollkommen leer. Da aber ständig neue Magensäure produziert wird, gibt es ein Problem: Die Säure greift Magen-wände und Schleimhäute an. Hierdurch kommt es zu verstärktem Unwohlsein. Insbesondere dann, wenn sich die Person ein weiteres Mal übergeben muss. Ist dies der Fall, durchläuft nur noch Magensäure durch Speiseröhre und Mund. So stellt sich zur Übelkeit fast immer noch ein heftiges Sodbrennen ein. Merke: Mit Wasser verdünnt man die Säure, Brot saugt sie auf. Also: Nach jedem Erbrechen immer etwas Wasser und etwas Brot reichen. Auch dann, wenn sich die betroffene Person dagegen wehrt.

Etwas Wichtiges vorab: Seekranke Personen verlieren sehr schnell ihre Kräfte und ihre Reaktionsfähigkeit. Aus diesem Grund sollten Sie einen Seekranken nicht mehr aus den Augen lassen. Das Beste ist immer noch die Person mit einem Lifebelt zu sichern. Zusätzlich sollte ein weiterer Mitfahrer als „Bodyguard“ abgestellt werden.

 

Seekrankheit kann für die Betroffenen eine enorme Stresssituation bedeuten. Besonders kritisch wird es, wenn sich zu dem Ständigen „sich Übergeben“ Durch-fall einstellt. In diesem Fall kommt es zu einem extrem hohen Flüssigkeits- und Mineralverlust, dem Sie begegnen müssen. (Ständig Wasser reichen, eventuell eine Kraftbrühe). Sorgen Sie dafür, dass die Person den ruhigsten Platz im Schiff bekommt. (Leeseite im Salon, nahe am Schiffsmittelpunkt). Wickeln Sie den Seekranken in warme Decken ein und legen Sie dessen Beine etwas hoch. Kontrollieren Sie ständig Atmung und Temperatur. Tritt keine Linderung ein, sollten Sie, wenn machbar, den nächstmöglichen Hafen anlaufen.

Bedenken Sie: Seekrankheit kann im schlimmsten Fall zu einem Kreislaufkollaps führen. Es ist sogar schon vorgekommen, dass Personen an den Folgen eines solchen Zusammenbruches gestorben sind.